Eine kleine Impression

 

Rathausallee
Copyright:2011 Gerda Köhler
 
Ein ganz normaler Dienstag Vormittag im Frühsommer. Die Sonne strahlt vom blauen, wolkenlosen Himmel. Ein leiser Wind lässt die zart grünen Blätter der wenigen Bäume sanft rauschen, welche die Allee bilden sollen.
 
In der gemütlichen Gelateria an der Ecke sitzt ein einzelner Gast an einem der kleinen runden glänzend polierten Tische. Die halbrunden Bänke und die Stühle sind mit einem schweren Möbelstoff in warmem Weinrot bezogen.
 
Auf der verspiegelten Theke hat jedes Ding seinen angestammten Platz. Die Gläser und Glaspokale spiegeln sich im Licht der versenkten Deckenbeleuchtung: Alles modern, glatt und glänzend. Trotzdem strahlt der Raum einen gewissen Charme aus.
 
Der Gast lässt den Blick weiter schweifen, bis er gleich neben dem Eingang an einem altertümlichen Sofa mit hohen geschwungenen Beinen hängen bleibt. Damit der alte originale Bezug nicht weiter abgewetzt wird, hat man ein schlichtes, einfarbiges Wollplaid über der Sitzfläche ausgebreitet. Der Gast schaut sich weiter um und entdeckt eine ebenso alte, dunkel gebeizte Kommode mit auf Hochglanz polierten Messingbeschlägen. Die einzige Dekoration bildet eine kleine Messinglampe mit einem Schirm aus beigem Stoff.
 
In der Mitte des Raumes steht eine lebensgrosse Göttin aus Gips auf einem Sockel und lässt den Blick über die im Augenblick nicht vorhandenen Gäste gleiten. Zum Wochenende kommen sie in Scharen!
 
Der Gast kommt ins Grübeln. Wie passt das zusammen, die moderne Einrichtung und diese beiden wunderschönen alten Möbelstücke, die jedes Sammlerherz höher schlagen lassen.
 
Nachdem der Gast den Inhalt seines Eisbechers mit großem Appetit verspeist hat, überlegt er einen Moment, ob er eine zweite Portion bestellen soll. Vielleicht erbäbe sich die Möglichkeit, ein paar Worte mit Francesco, dem immer gut gelaunten Inhaber des Eiscafés zu wechseln. Oft hört man ihn bei der Arbeit lauthals und gekonnt Opernarien schmettern. Aber auch die „Caprifischer“ gehören zu seinem Repertoire. Wenn man darauf achtet, wie Francesco seine großen und auch kleinen Gäste begrüßt, umsorgt und verabschiedet, könnte man auf den Gedanken kommen, man wäre der wichtigste Gast überhaupt. Das ist die gute italienische Lebensart mit viel Spaghetti und der Nonna mit der geblühmten Schürze am Herd: Da werden unwillkürlich Erinnerungen an den letzten Italienurlaub geweckt. Und in dieses Bild passen auch das gemütliche, schon etwas durchgesessene Sofa und das dunkel gebeizte Kommödchen.
 
Der andere Francesco, der überaus smarte Geschäftsmann, passt dagenen in die moderne Welt mit den robust bezogenen halbrunden Bänken und den gestreiften Stühlen. Seinen prüfenden Blicken entgeht nichts und die Sprache ist auch  nicht sonnig wie in bella Italia, sondern auch schon einmal frostig, wie im spätherbstlichen Deutschland; geschäftsmäßig eben. Aber es ist sehr Interessant zu beobachten, wie rasant das Umschalten von Spätherbst auf Sommersonne erfolgt.
 
Ähnlich verhält es sich mit der italienischen und deutschen Bedeutung des Geschäfts. Gelateria: Das klingt nach Sonne und Urlaub. Eisdiele: Das ist so kalt, wie das Produkt, das dort verkauft wird.
 
Der Gast hat seine Beobachtungen beendet. Er zahlt und verabschiedet sich.